Von Martin A. Senn
Neulich habe ich einen VW-Bus geschenkt erhalten. Keinen richtigen natürlich, nur ein Blechmodell, halb so gross wie eine Schuhschachtel auf Rädern und randvoll gefüllt mit Süssigkeiten aus dem Läckerli Huus.
Nun steht das Vehikel bei uns im Wohnzimmer, mit seinem weissen Dach, die Seitenflächen orange mit bunten Stickern übersäht, und erinnert uns an die Zeit, als Autofahren noch ein Lebensgefühl war. Für die einen war’s das kleine Glück des neuen Wohlstands, für die anderen die grosse neue Freiheit. Egal ob Bünzli, 68er-Rebell oder Hippie: Autofahren gehörte dazu.
Das waren die Sechziger-, Siebziger- und zum Teil sogar die Achtzigerjahre. Abgaswerte interessierten noch kaum jemanden. Neuwagen galten ohnehin als spiessig. Angesagt waren 2CV, Käfer oder sonst ein altes, gerade noch vor der Anlieferung zum Schrotthändler bewahrtes Fahrgerät. Oder eben – für die Tour mit der Band oder den Trip mit der Freundesclique nach Südfrankreich – ein VW-Bus. Damit röhrte man dann durch die Gegend, Fenster oder Verdeck möglichst offen, und grölte, was die Stimmen und die krächzenden Boxen des Kassettenrecorders hergaben.
Die damalige Zivilgesellschaft, so würde man heute wohl sagen, fusste auf einer durch und durch automobil geprägten Kultur. Blues, Rock und Pop wären ohne Auto undenkbar gewesen. Dass «Route 66», eine Ode an die amerikanische Autobahn von Chicago nach Los Angeles, zu einem der berühmtesten Kultsongs dieser Jahre wurde, ist kein Zufall. Inzwischen sitzen die Generationen dieser Zeit längst selber an den «Schalthebeln der Macht», gegen die sie damals mit ihrem unbeschwert automobilen Lebensstil rebellierten. Nicht mehr von den legendären 2000 Meilen Highway von Chicago nach L. A. träumen sie jetzt, sondern von der 30er-Zone auf der Sevogelstrasse. Blues Brothers auf dem E-Bike, sozusagen.
Von der Überzeichnung des Autos als Symbol der Ungebundenheit bis zu dessen Geisselung als lebensfeindliches Monstrum: Der Gesinnungswandel, vollzogen von ein und derselben historischen Generation, ist einzigartig. Entgegen jeglicher Realität inszeniert man sich dabei nach wie vor als kleine Minderheit im Kampf gegen eine scheinbar übermächtige bürgerliche Lobby. Dabei hat diese, gerade wenn es ums Auto geht, in den rot-grün regierten Schweizer Städten so gut wie nichts mehr zu sagen. «Generell 50» ist dort bestenfalls noch ein schlechter Scherz. Auf mehr als der Hälfte des städtischen Strassennetzes gilt «Tempo 30», in Basel sind es 56 Prozent. Und soeben hat das Bundesgericht die tiefere Limite auch auf Durchgangsstrassen wie der Basler Sevogelstrasse gutgeheissen. Zudem werden reihum «Begegnungszonen» mit Tempo 20 eingerichtet. Und in Zürich hat das Stadtparlament letzte Woche trotz offenkundiger Unrealisierbarkeit eine Volksinitiative für eine gänzlich autofreie Stadt zur Volksabstimmung freigegeben.
Kleine ohnmächtige Minderheit? Papperlapapp. Sorgen um die Umwelt von Leuten, die selber auch gerne mal eine Flugreise machen? Heuchelei. Worum es wirklich geht, hat neulich der VCS auf seiner Webseite in bemerkenswerter Offenheit geschrieben: um eine Mobilität, «die stärker auf Teilen als auf Privatbesitz beruht». Ja, ja, das böse Privateigentum. (Basler Zeitung) Kolumne in der Basler Zeitung vom 5. April 2018