Von Martin A. Senn
In der «Arena» von Fernsehen SRF gibt es neuerdings ein Pültchen für Experten. Von dort aus sollen die Fachleute dem von Fakten weitgehend unbelasteten Politiker-Streit offenbar eine sachliche Komponente zufügen. Das ist ihnen bisher gut gelungen: Sachgerecht führen sie dem Publikum jeden Freitagabend vor, dass Experten auch nur Meinungen vertreten und ihre Prognosen kaum mehr wert sind als Stammtischgeplapper. Mitunter auch ein bisschen weniger.
Das ist an sich nicht neu. Albert Einstein zum Beispiel erklärte 1932 kategorisch, es werde nie möglich sein, Atomenergie zu produzieren. 1943 verkündete Thomas Watson, der damalige IBM-Chef, auch in Zukunft würden sich weltweit höchstens fünf Personen dafür interessieren, einen Computer zu kaufen. Und Ken Olsen, der Gründer von DEC, der ersten Firma, die Geschäftscomputer herstellte, die weniger Raum brauchten als ein ganzes Zimmer, sah 1977 noch keinen einzigen Grund, weshalb sich irgendjemand einen Computer für zu Hause kaufen sollte.
Nachgerade präzis sind dagegen manche Prognosen von Laien und Fantasten. Jules Verne etwa beschrieb 1889 in einer Kurzgeschichte über die Zukunftsstadt Centropolis das «Fernsehtelefon», heute besser bekannt als Skype. Er schildert Lufttaxis, unterirdische Hochgeschwindigkeitszüge und Akkumulatoren, die die Sonnenenergie speichern können. Und, fast schon unheimlich: der mächtigste Mann dieser Zukunftswelt ist ein Medienunternehmer.
Dass Experten Entwicklungen keinen Deut besser voraussagen können als Laien, haben vor einigen Jahren bereits die Stockholmer Psychologen Gustav Törngren und Henry Montgomery nachgewiesen. Sie baten 56 Laien sowie 43 Börsenprofis, wie Analysten, Berater oder Fondsverwalter, den Börsenkurs von 20 Wertpapieren innert eines Monats vorherzusagen. Zudem sollten sie die Verlässlichkeit ihrer eigenen Prognosen einschätzen. Die Börsianer brachten es bei ihren Prognosen auf eine Trefferquote von 40 Prozent. Das sind 10 Prozentpunkte weniger, als wenn sie eine Münze geworfen hätten. Die Laien brachten es auf eine Quote von 50 Prozent – und damit immerhin auf die Treffsicherheit eines Münzenwurfs.
Umgekehrt verhielt es sich mit der Selbsteinschätzung. Die Laien gaben an, von Finanzen nicht die geringste Ahnung und einfach nur geraten zu haben. Die Börsenprofis hingegen waren von ihren eigenen Fähigkeiten so überzeugt, dass sie ihre Trefferquote auf viel zu hohe 67 Prozent einschätzten. Auch die Laien trauten den Experten eine zu grosse Urteilskraft zu.
Wenn man sieht, wie stark politische Entscheide aufgrund von Annahmen über künftige ökonomische Auswirkungen beeinflusst werden, ist das mehr als eine harmlose Anekdote. Dies umso mehr, als die Ökonomen-Gilde, die sich vor wegweisenden Abstimmungen gerne in die Pose des allwissenden Mahners wirft, einen recht kläglichen Leistungsausweis bei der Voraussage der wirtschaftshistorischen Megaereignisse wie der Eurokrise oder der Finanzkrise vorzuweisen hat.
Wenn das Expertenwissen durch den neuen «Arena»-Modus in der Bevölkerung an Glanz verliert, ist dies deshalb nur gut. Entscheiden müssen die Bürgerinnen und Bürger schliesslich allein. Und dabei bringen sie es in jedem Fall auf mindestens 50 Prozent Trefferquote. Weniger schaffen nur die Experten. (Basler Zeitung)
Kolumne Basler Zeitung, 3. November 2017