Von Martin A. Senn
Wann immer Donald Trump einen aussenpolitischen Entscheid fällt, protestieren allen voran deutsche Politiker auf der Stelle. So war es bei der Kündigung des Iran-Abkommens, und so war es bei den Zöllen auf Stahlimporten. Was eine Wertegemeinschaft noch wert sei, fragte etwa die Bundeskanzlerin, in der ein Partner die Verträge nicht mehr einhalte.
Nun mag man von Trump halten, was man will. Dass aber die USA sich als Wertegemeinschaft mit Deutschland und den europäischen Staaten verstehen und diese als Vertragspartner auf Augenhöhe sehen, ist eine grosse Selbsttäuschung der deutschen Nachkriegsgenerationen bis heute.
Zwar sind die USA gegenüber Westeuropa tatsächlich gewisse Bindungen eingegangen, aber nie so viele, dass ihnen je die Kontrolle entglitten wäre. Das westliche Militärbündnis Nato war aus ihrer Sicht nie ein Club auf Augenhöhe, sondern ein Instrument zur Wahrung ihrer Sicherheitsinteressen. Oder, wie es der erste Nato-Generalsekretär, Hastings Lionel Ismay, einst sagte, «to keep the Germans down, the Russians out and the Americans in».
Auf Augenhöhe sollten die Deutschen also nie kommen. Dass sie es wirtschaftlich längst sind, bringt die USA in die Bredouille. Denn die USA verstehen sich als Hegemonie, als globale Ordnungsmacht, die dank ihrer enormen militärischen Stärke die internationale Sicherheit garantiert und mit dem Dollar die Lebensader der Weltwirtschaft füllt. Für viele Länder lohnt es sich, sich deswegen den Amerikanern unterzuordnen. Dass die USA zudem von Hollywood bis Hamburger eine der beliebtesten Populärkulturen anzubieten haben und vor allem, dass sie für Demokratie und Menschenrechte stehen, hat sie speziell auch für die Europäer attraktiv gemacht.
Doch eine Weltmacht zu sein, ist wahnsinnig teuer. Die Zeiten, in denen die USA ihre Militärausgaben bei Bedarf massiv steigern konnten, sind vorbei. Seit Jahren klaffen Militärausgaben und Handelsdefizit stets weiter auseinander. Auf der anderen Seite des Atlantiks haben derweil die Deutschen ihre Militärausgaben im Sinne einer «Friedensdividende» zurückgefahren und häufen Handelsüberschüsse an. Dass dies vielen Amerikanern nicht gefällt, liegt auf der Hand. Ebenso wie es nicht erstaunt, dass die entgegen ihrer Rhetorik seit jeher protektionistischen USA darauf gegenüber dem nicht minder protektionistischen Europa mit höheren Zöllen reagieren.
Denn dass Amerika die Sicherheit bezahlt und die Europäer das Geschäft machen, das ist nicht einfach ein Tweet Trumps. Es war in den USA schon ein weit verbreitetes Gefühl, als Obama 2015 den Iran-Deal schloss. Nur 21 Prozent der Amerikaner fanden damals denn auch, das sei ein gutes Abkommen, 49 Prozent lehnten es ab. Wesentlich grösser ist die Zustimmung bis heute nie geworden.
Kein Wunder, setzte Obama das Abkommen nicht auf dem ordentlichen Weg via Parlament, sondern per einfacher Präsidialverfügung in Kraft und überliess seinem Nachfolger den schwarzen Peter. Nicht, dass das diesen gestört haben dürfte, zumal er ja nun ebenfalls mit einer einzigen Unterschrift ein Wahlkampfversprechen einlösen konnte. Doch in Deutschland und Europa bestätigte es ohnehin nur das selbstlügnerische Zerrbild: Friedensengel Obama, Raketenmann Trump. (Basler Zeitung) Kolumne in der Basler Zeitung vom 7. Juni 2018